Dienstag, 4. November 2014

Ein Herbst ohne einheimische Kastanien


Wegen eines Schädlings sind die Kastanienbäume südlich der Alpen erkrankt. Die Ernte ist mager.

Kastanienfeste gibt es im Tessin gleichwohl.

Die Herbstzeit ist Kastanienzeit. Und die auf offenem Feuer gebratenen Maroni sind fester Bestandteil der beliebten Kastanienfeste, die in den kommenden Wochen in vielen Gemeinden des Kantons Tessin stattfinden. Überall sind bereits Plakate für die anstehenden Feste zu sehen. Die stachelige Frucht ist neben Weintrauben auch in der Werbung der Verkehrsvereine das typische Herbstsymbol.
Nur: Um die Edelkastanie auf der Südseite der Alpen steht es alles andere als gut. Denn seit fünf Jahren treibt ein Schädling namens Gallwespe sein Unwesen. Die ursprünglich aus China stammende Wespe ist 2009 vom Piemont in die Südschweiz eingewandert und macht sich in den Kastanienbäumen breit.




Das Phänomen betrifft das Tessin, aber auch Südbündner Täler und das Wallis. Die Wespe verursacht an den Ästen der Kastanienbäume sogenannte Gallen, sprich Wucherungen. Diese entstehen, wenn sich in den Knospen aus den dort abgelegten Eiern Larven heranbilden. Die Pflanzen sterben nicht ab, aber ihre Produktivität und ihre Widerstandsfähigkeit werden stark gemindert.



Hoffen auf die Schlupfwespe



«Die Wälder sind dadurch geschwächt – auch die Baumkronen sind lichter», sagt der Tessiner Forstingenieur Giorgio Moretti, der sich auch Sorgen um den Schutzwald macht, falls die Bäume nicht wieder gesunden sollten. Immerhin 20'000 Hektaren Kastanienwald gibt es im Südkanton – das entspricht rund 14 Prozent der Gesamtwaldfläche. Auch dem Wanderer entgeht die Situation nicht. Normalerweise liegen die Früchte und ihre stacheligen Schalen im Herbst haufenweise auf Wegen. Seit Jahren erscheinen die Wanderwege wie gereinigt.


Die Hoffnungen der Förster basieren ganz auf einem Gegenspieler der Gallwespe, einer Schlupfwespe namens Torymus sinensis. Dieser Parasit wirkt wie ein Gegenmittel, da er die Larven in den Gallen abtötet und so die Ausbreitung der Gallwespe eindämmt. In Italien wurde er ausgesetzt. Auch der Kanton Tessin wollte dies tun, doch das Bundesamt für Umwelt (Bafa) lehnte 2012 einen entsprechenden Antrag ab, weil die ökologischen Risiken nicht genau genug untersucht worden seien. Mittlerweile ist der Torymus sinensis aber von allein aus Italien ins Tessin eingewandert. Und effektiv lassen sich erste Anzeichen einer Besserung beim Kastanienwald erkennen.

Importkastanien für die Feier


«Die Kastanienernte ist aber gleichwohl ein Desaster», klagt Paolo Bassetti aus Bellinzona-Pianezzo, der sich als Landwirt in den letzten Jahren für eine Aufwertung der einheimischen Frucht eingesetzt hat und Sammelstationen im Kanton Tessin organisierte. Im Rekordjahr 2006 kamen so 60 Tonnen zusammen. «Jetzt sind es vielleicht noch einige Hundert Kilo», so Bassetti.
Von der Krankheit betroffen sind auch Kastanienhaine, die in den letzten 20 Jahren – teilweise gemeinsam mit dem Fonds Landschaft Schweiz – angelegt wurden, beispielsweise im Malcantone. Neben landschaftlichen Aspekten verfolgen diese Projekte das Ziel, dereinst auch eine bessere Qualität der Traditionsfrucht zu ermöglichen. Denn für den kommerziellen Verkauf waren Tessiner Esskastanien tendenziell schon immer zu klein.
Für Tessiner Kastanienfeste wurden daher Importkastanien verwendet, insbesondere aus Italien, aber auch aus Frankreich und Portugal. Und dieses Jahr werden erneut ausländische Edelkastanien ihren Weg in die langstieligen Marronipfannen finden. (Tages-Anzeiger)



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